Liebe Gemeinde,
auf seiner zweiten Missionsreise konzentriert sich Paulus auf Europa. Über Philippi, Thessalonich und Beröa stößt er nach Athen vor, dem geistigen und kulturellen Zentrum der alten Welt.
In Athen angekommen hat der Missionar noch etwas Zeit zu einer „Sideseeing Tour“ durch die Weltmetropole. Paulus sieht sich alles ganz genau an.
Der Tempelberg der Akropolis dominiert das Stadtbild. Neben dem Parthenontempel fällt das riesige Standbild der Athena Promachos besonders ins Auge. Schon von weitem grüßt die Göttin mit ihrem vergoldeten Helmkamm und ihrem goldenen Speer die heimkehrenden Seeleute auf draußen auf dem Meer. Außerdem beeindruckt auf der Akropolis der Athena-Nike Tempel, das Zeus Heiligtum und der Roma Tempel.
Paulus sieht auch die kulturellen Einrichtungen der Stadt: Die Gymnasien und die Schulen und das große Dionysos Theater am Fuße der Akropolis.
Paulus informiert sich über die reiche philosophische Tradition der Athener. Überall stehen die Vertreter der unterschiedlichen philosophischen Schulen auf den Plätzen der Stadt und diskutieren heftig miteinander.
Und Paulus staunt über die enorme religiöse Vielfalt, die sich in Athen allerorts unübersehbar präsentiert. Die Stadt ist voll mit Tempeln und Götterstatuen. An den heiligen Stätten finden feierliche Prozessionen statt, untermalt von kultischer Musik und eingehüllt in Weihrauch.
Paulus hat sich also in aller Ruhe die Stadt Athen angeschaut und wir sind neugierig, wie sein Gesamturteil aussieht, das er nach diesem ausführlichen Rundgang fällt.
Wenig Bewunderung hat der Apostel offenbar für die Kulturmetropole übrig. Erstaunlicherweise findet er kein einziges Wort der Anerkennung für das, was die Athener über Jahrhunderte hinweg aufgebaut hatten. Paulus wird wütend. Er ist tief traurig und alles in ihm ist aufgewühlt. Sein Begleiter Lukas berichtet:
„Als aber Paulus in Athen auf seine Mitarbeiter wartete, ergrimmte sein Geist in ihm, als er die Stadt voller Götzenbilder sah.“ (Apostelgeschichte 17,16)
Ich habe mir überlegt: Wie würde Paulus wohl reagieren, wenn er für einige Tage bei uns in Hohenhaslach zu Besuch wäre? Würde er anschließend voller Anerkennung über unseren Ort sprechen? Würde er sagen: „Erstaunlich, dass es noch Orte gibt, wo so viele fromme Menschen leben!“? Würde er sagen: „Dieser Ort ist wirklich das, was Jesus ‚eine Stadt auf dem Berge‘ nennt, ein Ort mit einer großen geistlichen Ausstrahlung.“? Oder würde ihn, ähnlich wie in Athen, über die Situation an unserem Ort die Wut packen?
Ich denke, es ist doch traurig, wenn wir uns an vieles hier einfach gewöhnt haben, wenn wir Dinge als normal ansehen, die in Wirklichkeit gar nicht normal sind. Oder ist es denn normal, dass in unserem Ort so viele Menschen wohnen, die schon so oft von einer Bekehrung oder Entscheidung für Christus gehört haben, aber bei denen es bisher nie zu einem Anfang mit Jesus gekommen ist?
Und womit hängt es zusammen, dass die Ausstrahlung und die Wirkung, die von unserer Gemeinde ausgeht, offensichtlich so gering ist, dass wir die Mehrheit der Bevölkerung unseres Ortes nicht wirklich mit dem Evangelium von Jesus Christus erreichen?
Das können wir doch nicht einfach hinnehmen! Das kann uns doch alles nicht unberührt lassen. Das muss uns doch eine innere Not sein. Da muss es uns doch gehen wie Paulus, der innerlich tief erschüttert ist von der geistlichen Situation in Athen.
Paulus sieht die geistliche Situation in Athen. Er analysiert ganz nüchtern das Verhältnis der Bewohner Athens zu Gott. Und dann beginnt er in aller Öffentlichkeit zu predigen. Er hält eine Predigt zum Thema: „Glaube contra Religion“
1. Paulus spricht mit den Athenern über die menschliche Religion
Paulus bescheinigt den Athenern: „Ich sehe, dass ihr außerordentlich religiös seid.“
An Religion fehlt es nicht in Athen und in Hohenhaslach. Er spricht sogar viel dafür, dass jeder Mensch im Grund religiös ist. Jeder hat von Natur aus eine Bindung an eine höhere Macht, ein Wissen, dass über ihn noch eine höhere schicksalhafte Instanz steht. Aber zwischen der menschlichen Religion und dem biblischen Glauben befinden sich Welten. Religion und Glaube sind etwas Grundverschiedenes.
Der religiöse Mensch kennt Gott nicht
Paulus hat in Athen unter den vielen Götterbildern auch einen Altar entdeckt, auf welchem dem „unbekannten Gott“ Opfer dargebracht wurden. An diese Beobachtung knüpft er jetzt an. Paulus macht den Athenern in seiner Rede deutlich, dass die Menschen zwar von der Existenz Gottes wissen, dass ihnen aber das Wesen dieses Gottes völlig unbekannt ist.
Weil die Menschen aber von Gott nichts wissen, machen sich von ihm ihre eigenen Vorstellungen und Bilder. Jede dieser Vorstellungen von Gott ist so verschieden wie die Menschen selbst. In Griechenland kannte man damals über 3000 verschiedene Götter.
Da ist zum Beispiel das Bild vom lieben Gott, der immer verzeiht. Dieser Gott wird doch nicht auf die Idee kommen, Menschen zu richten oder zu verteilen. Er schickt doch niemanden zur Hölle. Seine Art ist es, allen Menschen zu verzeihen.
Viele haben auch die Vorstellungen vom distanzierten Gott, der weit weg ist. Sie können sich nicht vorstellen, dass es möglich ist, mit Gott eine persönliche Beziehung aufzubauen. Aber hin und wieder überkommt Menschen mit diesem Gottesbild bei einem gewaltigen Naturerlebnis oder bei einer feierlichen Handlung ein heiliger Schauer angesichts der Größe und Erhabenheit Gottes.
Paulus spricht in seiner Predigt auch das Bild vom ortsgebundenen Gott an. Er betont: „Gott wohnt nicht in Tempeln, die mit Händen gemacht sind.“
Die Vertreter der Vorstellung vom ortsgebundenen Gott gehen an einen heiligen Ort. Sie betreten Gottes Haus, um dort Gott zu suchen. Aber Gott bleibt in diesem Haus. Er ist nur dort zu finden und hat mit dem alltäglichen Leben nichts zu tun. Dort gelten andere Gesetze wie im Haus Gottes.
Paulus macht deutlich: Der religiöse Mensch kennt Gott nicht. Er macht sich von Gott seine eigenen Vorstellungen.
Der religiöse Mensch toleriert nebeneinander verschiedene Heilswege.
Das war ja in Athen ganz offensichtlich. Athen war eine multireligiöse Stadt. Auf dem Multimarkt der Religionen war für jeden Geschmack etwas zu finden. Jeder ließ den anderen stehen. Wer wollte, konnte sich auch selbst aus verschiedenen Bauteilen seine eigene Religion zusammenbasteln.
Als Paulus dann mitten in Athen damit anfing, Jesus Christus ins Gespräch zu bringen, war die zu erwartende Reaktion eigentlich schon klar: „Aha, ein neues religiöses Angebot. Hier werden fremde Götter verkündigt. Eine neue Lehre soll etabliert werden.“
Selbstverständlich wurde toleriert, was Paulus verkündigte. In Athen warf niemand mehr mit Steinen. Darüber waren die Athener längst hinweg. Viele waren neugierig und wollten einfach nur hören, was Paulus denn zu bieten hatte.
Lukas erzählt: „Sie nahmen ihn aber mit und führten ihn auf den Areopag und sprachen: Können wir erfahren, was das für eine neue Lehre ist, die du lehrst?“ (Apostelgeschichte 17,19)
Merken Sie, wie diese religiöse Geisteshaltung der Athener heute wieder aktuell geworden ist? Viele sprechen vom offenen Dialog mit den Religionen, damit jede Religion von der anderen lernen kann. Sie halten den Anspruch von Christus, der einzige Weg zur Seligkeit zu sein, für „fundamentalistisch“ und gefährlich. Sie behaupten, dass es viele verschiedene religiöse Wege gibt, die alle zu Gott führen. In einer christlichen Zeitschrift las ich den Satz: „Es war der Sündenfall der christlichen Religion, dass aus dem Bekenntnis: ‚Christus ist unser Heil‘ die Behauptung wurde: ‚Es gibt kein Heil außerhalb von Christus‘.“
Der religiöse Mensch toleriert nebeneinander verschiedene Heilswege.
Der religiöse Mensch dient Gott nur, um etwas zu empfangen.
Paulus predigt den Athenern: „Ihr denkt, Gott ließe sich von den Menschen dienen, so wie wenn er auf den Dienst der Menschen angewiesen wäre.“
Und tatsächlich war ja das Verhältnis der Athener zu ihren Göttern ganz pragmatisch. Sie dachten: „Ich gebe Gott etwas, damit Gott mir etwas gibt.“ So nach dem Motto: „Eine Hand wäscht die andere. Wie ich dir, so du mir.“
Gott wird also vom religiösen Menschen als Dienstleister der eigenen Wünsche oder als Vertragspartner für ein abgesichertes Leben angesehen.
Und ganz ehrlich: Wer von uns hat nicht schon verschiedentlich versucht, mit Gott ins Geschäft zu kommen? „Wenn ich wieder gesund werde, dann werde ich bestimmt regelmäßig in den Gottesdienst gehen.“ „Wenn ich von meinem Einkommen den Zehnten gebe, dann wird Gott mir bestimmt Erfolg in meinem Beruf geben.“ „Du siehst, was ich vorhabe und wie ich es gerne möchte. Jetzt mach du doch, dass alles gelingt, was ich mir vorgenommen habe. Du bist es doch, dem mein Leben gehört.“
Wenn es dann aber anders kommt, als ich denke, bin ich ganz schnelle mit Vorwürfen zur Stelle: „Jetzt habe ich doch mein ganzes Leben lang so gelebt, wie es recht ist. Ich habe doch auch für Gott schon so viel Gutes getan. Und jetzt geht es mir so schlecht. Womit habe ich das verdient?“
Der religiöse Mensch kennt Gott nicht.
Der religiöse Mensch toleriert nebeneinander verschiedene Heilswege.
Der religiöse Mensch dient Gott nur, um etwas zu empfangen.
Paulus spricht mit den Athenern über die menschliche Religion
2. Paulus spricht mit den Athenern auch über den biblischen Glauben
Nun, das ist eigentlich unheimlich stark, was Paulus sich jetzt in seiner Predigt zum Thema „Glaube contra Religion“ erlaubt. Da steht die Elite, die geistige und religiöse Führungsschicht der Antike dem Mann aus Tarsis gegenüber und dieser Paulus wagt es, diesen Leuten zu sagen: „Gott hat zwar über die Zeit der Unwissenheit hinweggesehen; nun aber gebietet er den Menschen, dass alle an allen Enden Buße tun.“
Den Philosophen sagt er: Ihr habt zwar viel studiert und diskutiert, aber ihr wisst nichts von Gott.
Den religiösen Führern und Gurus sagt er: „Ihr bringt zwar den verschiedensten Göttern Opfer dar, aber ihr wisst nichts von Gott.
Und den Künstlern und Architekten sagt er: „Ihr habt zwar wunderbare Götterbilder entworfen und herrliche Tempel gebaut, aber ihr wisst nichts von Gott.“
Und dann sagt Paulus: „Gott ist den Menschen zwar nicht fern. ‚In ihm leben, weben und sind wir‘“, Menschen können wissen und erfahren, dass es Gott gibt. Aber es gibt keinen Weg des Menschen, von sich selbst aus Gott zu erkennen. Er ist und bleibt für uns der „unbekannte Gott“.
Und dann spricht Paulus von dem „einen Mann“, von Jesus. Er spricht von dem, der die Nebelwand der Unsichtbarkeit Gottes durchbrochen hat und Gott sichtbar gemacht hat. Er spricht von dem, der den unbekannten Gott bekannt gemacht hat.
Jesus konnte sagen: „Wer mich sieht, der sieht Gott.“ (Johannes 14,9)
An seinem Leben war Gottes Wesen abzulesen. Was er sagte, galt so, wie wenn es Gott gesagt hätte. Der gläubige Mensch macht sich über Gott nicht seine eigenen Gedanken, sondern erkennt Gott in Jesus Christus.
Jesus, der „eine Mann“ offenbart uns nicht nur den wahren Gott. Jesus ist auch der, der über alle Menschen das Gericht hält. Er ist auch der, den Gott von den Toten auferweckt hat. Paulus sagt in seiner Predigt:
„Gott hat einen Tag festgesetzt, an dem er den Erdkreis richten will mit Gerechtigkeit durch einen Mann, den er dazu bestimmt hat, und hat jedermann den Glauben angeboten, indem er ihn von den Toten auferweckt hat.“ (Apostelgeschichte 17,31)
Jeder religiöse Versuch, in den Himmel zu kommen, scheitert hundertprozentig an der Gerechtigkeitsfrage. Kein Mensch lebt so gerecht und tadellos, dass er mit seinem Leben vor Gottes Gericht bestehen könnte. Wer glaubt, dass er sein Leben vor Gott vorzeigen könnte, wird scheitern und am Ende mit seinem Leben niemals vor Gott bestehen können.
Weil Jesus Christus der „eine Mann“ ist, der das Gericht über alle Menschen hält, ist er auch der Einzige, der Menschen, die Strafe verdient haben, begnadigen kann.
Jeder religiöse Versuch, in den Himmel zu kommen, scheitert außerdem garantiert an der Todesfrage. Denn der Tod ist eine Sackgasse, die im Totenreich endet und keine Durchgangsstraße zu Gott.
Weil Jesus der „eine Mann“ ist, der den Tod das Kreuz gezeigt hat und ihm damit das Kreuz gebrochen hat, ist er der Einzige, der Menschen, die zum Sterben bestimmt sind, zum Leben erwecken und in den Himmel bringen kann.
Der gläubige Mensch sieht den Glauben an Jesus nicht als einen möglichen Weg neben anderen an, sondern bindet sich an Jesus, der von sich gesagt hat: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater, denn durch mich.“ (Johannes 14,6)
Und schließlich bietet Paulus dann seinen Zuhörern an, diesem Jesus ihr Leben in die Hand zu geben.
Der gläubige Mensch gibt Gott nicht etwas von seinem Leben, weil er weiß, dass Gott, von dem alles kommt, ja sowieso zusteht. Er bringt auch nicht ein Opfer, um dafür von Gott etwas zu bekommen.
Der gläubige Mensch gibt vielmehr alles, was er hat, auch sich selbst, und sein ganzes Leben an Gott hin, weil er sich nur noch von diesem Weg das Glück, den Sinn und das Ziel und den Halt seines Lebens erhofft.
Wissen Sie, wie unangenehm es ist, wenn Sie im Linienbus unterwegs sind, stehen müssen und keinen Haltegriff haben? Ich bin da schon bei jedem Bremsmanöver durch den halben Bus geflogen. Aber kein Vergleich dazu, im Leben unterwegs zu sein ohne Haltegriff. Wie gut, dass Jesus, der „eine Mann“, diesen Halt bietet.
Interessant ist nun zum Schluss, wie die Zuhörer des Paulus auf die Predigt zum Thema „Glaube und Religion“ reagieren.
Die einen wurden zu Spöttern, die die Botschaft des Paulus souverän ablehnten. Für Diskussionen waren sie zu haben, aber nicht für Buße, Bekehrung und ein neues Leben mit Jesus.
Die anderen zeigten Interesse, aber sie wollten sich nicht entscheiden, mit Jesus zu beginnen. Ihr Einwand lautete: „Wir wollen dich darüber ein andermal weiter hören.“ Es war klar, dass es dieses „ein andermal“ nie mehr gab.
Und dann gab es auch einige, die der Botschaft glaubten und sich an Jesus hielten. Dionysius und Damaris werden namentlich genannt.
Ganz sicher gibt es unter uns eine ganze Reihe von Leuten, die zwar religiös sind, aber noch nicht gläubig. Ob unter ihnen wohl einer ist, der sich danach sehnt, gläubig zu werden? Wie gerne würde ich ihm dabei helfen!
Wer Jesus kennt und nicht mehr auf dem religiösen Weg versucht, Gott zu finden, hat Grund zum „Jubilate“. Er hat Grund zum Jubeln, nicht nur heute an diesem Sonntag, den wir so nennen.
Er kann jubeln: „Meine Schuld ist bezahlt! Ich habe das ewige Leben! Ich kann fröhlich meine Straße ziehen.“ (Apostelgeschichte 8,39)
„Ich habe einen wertvollen Schatz im Himmel.“ (1. Petrus 1,4)
Amen
Autor: Wanner, Michael
Gerne stellen wir Ihnen unsere Inhalte zur Verfügung. Und würden uns sehr freuen, wenn Sie unsere Arbeit mit Ihrer Spende fördern. Herzlichen Dank! Jetzt spenden